Die Digitalisierung
ist nicht aufzuhalten, und es wäre naiv, würde man ernsthaft etwas Anderes
behaupten wollen. Es liegt in der Natur des Menschen, Dinge alleine schon
deshalb zu tun, weil er es kann. Die Weltgeschichte zeigt, dass das ganz sicher
nicht immer gut gegangen ist, im Gegenteil, viele Katastrophen hätten sich
vermeiden lassen, wäre mit mehr Umsicht und insbesondere Weitsicht an die Dinge
herangegangen worden. Dennoch: der Lauf der Dinge ist nicht aufzuhalten, nun
steht die Frage im Raum, wie wir am besten mit der Digitalisierung umgehen.
Der Name Gordon Moore
dürfte heute nur noch wenigen Menschen bekannt sein, oder aber besonders jenen,
die als gemeinhin als „Nerds“ gelten. Im Jahr 1965 gab es zwar dieses Wort noch
nicht, doch die These, die Gordon Moore damals aufstellte, fiel ganz klar in
die Kategorie „Exzentriker“, „Träumer“ oder auch „Spinner“. Diese Einordnung
sollte sich als grober Fehler herausstellen, denn Moore sollte Recht behalten.
Er sagte damals voraus, dass sich die Leistung von Computern etwa alle zwei
Jahre deutlich erhöhe, die Rechengeschwindigkeit im gleichen Zeitraum deutlich
zunehme.
Heute gehen Fachleute
ganz selbstverständlich davon aus, dass sich die Prozessorleistung von
Computern alle 18 Monate verdoppelt. Gordon Moore lässt also grüßen. Doch was
bedeutet diese Erkenntnis?
Wie war das noch
gleich mit dem Reiskorn und dem Schachbrett?
Sie kennen die
Geschichte, oder? Legt man auf das erste Feld eines Schachbretts ein Reiskorn,
auf das nächste zwei, auf das übernächste vier und verdoppelt mit jedem Feld
die Anzahl der Reiskörner, ergibt das eine Summe, die kaum vorstellbar ist:
9.223.372.036.854.775.808 Reiskörner befinden sich zu guter Letzt auf dem
imaginären Schachbrett. Imaginär, weil kein Schachbrett der Welt groß genug für
so viele Reiskörner wäre.
Verdoppelt sich alle
18 Monate die Rechenleistung von Prozessoren, braucht man schon sehr viel
Fantasie, um sich auszumalen, was das für unsere Zukunft bedeutet. Ein kleiner
Rückblick hilft: Waren früher Computer noch Geräte, die ganze Räume ausfüllten
und trotzdem nur übersichtliche Rechenleistungen erbringen konnten, geht es uns
heute mit Smartphones (oder auch „nur“ USB-Sticks) ganz anders. Wie also mögen
die Rechengeschwindigkeit und die Leistungsfähigkeit von Prozessoren in vier
oder fünf Jahren aussehen? Die Antwort auf diese Frage ist reine Theorie, doch
dass die Digitalisierung und die Geschwindigkeit, mit der sie uns begleitet,
Folgen haben wird, ist klar. Beschäftigen wir uns an dieser Stelle mit den
Konsequenzen, die sich für die Arbeitswelt ergeben werden und ergeben können.
Nichts bleibt, wie es
war oder ist
Dirk Helbig ist
Komplexitätsforscher. Und er macht seine Sache sehr nüchtern. Vielleicht auch
wegen seiner Unaufgeregtheit wird einem etwas mulmig, wenn man ihn sagen hört:
„Kein Land auf der Welt ist vorbereitet auf das, was kommt.“ Helbig meint die
digitale Revolution, in der wir uns längst befinden. Und er legt nach und
behauptet: „In den meisten europäischen Ländern werden ca. 50 Prozent der
heutigen Arbeitsplätze verloren gehen.
Isoliert betrachtet
ist Helbigs Aussage ein guter Grund, sich hilflos in die Embryonalstellung zu
begeben und seinem Schicksal auszuliefern. Doch Helbig ist immer noch nicht
fertig und gibt sich sanftmütig. Dieser Umbruch, diese Revolution, kreiere
„eine Chance, wie sie sich nur alle 100 Jahre bietet.“ Also, Schluss mit der
Embryonalhaltung, aufstehen und die Chance ergreifen! So könnte das Motto
lauten. Doch wenn der Komplexitätsforscher von Chancen spricht, liegt die Frage
nahe: Für wen?
Chancen? Für wen?
Zunächst einmal muss
man eine andere Frage beantworten: Für wen bietet die fortschreitende
Digitalisierung keine oder nur wenig Chancen. Die Antwort überrascht, denn es
sind ausgerechnet Regierungen, die komplett überfordert sind. Man sieht das
hierzulande nicht nur daran, dass die Bundesregierung sich im Bundestag hacken
lässt oder völlig naiv an die Überwachung der NSA herangegangen ist. Man hört
es auch, zum Beispiel, wenn Angela Merkel von „Neuland“ spricht und dafür
kübelweise Häme erhält.
Doch die Sache ist
ernster, als man denkt. Denn die Kontrolle – eine Eigenart, die sowohl für die
Politik als auch für die Wirtschaft bedeutend ist – geht nach und nach
verloren. Heute gibt es mehr Dinge, die mit dem Internet verbunden sind, als
Menschen. Helbig sagt: „Die Komplexität der Gesellschaft wächst sogar noch
schneller als die Rechenleistung der Supercomputer.“ Dadurch gleitet uns die
Kontrolle aus der Hand, und die Frage liegt nahe, für wen sich denn durch die
Digitalisierung wirklich Chancen ergeben.
Natürlich stecken die
größten Chancen in der digitalen Arbeitswelt selbst. Doch hier stockt die
Entwicklung, was eigentlich absurd ist, bedenkt man, dass wir uns in einem
Tempo bewegen, das seinesgleichen sucht. Es ist ein bisschen wie zu Zeiten der
industriellen Revolution. Waren 1850 noch rund 70 Prozent der Menschen im
landwirtschaftlichen Sektor tätig, reduzierte sich diese Zahl nach den großen
Veränderungen auf mickrige drei bis fünf Prozent. Sorge bereiteten den Menschen
die Entwicklung damals zwar auch, doch sie passten sich – wenn auch wahrlich
nicht in jedem Fall freiwillig – an die Entwicklungen an.
Anders heute, so
scheint es. Im digitalen Bereich arbeiten gerade einmal 15 Prozent der
Menschen, die in Lohn und Brot stehen. In Anbetracht der mehr als rasanten
Entwicklung, die wir erleben, ist das ein geradezu unterirdischer Wert.
Vernetzung als
Alltagsbestandteil
Das Wehklagen im
Zeitalter der Digitalisierung ist groß. Viele Menschen fühlen sich
ausgeschlossen, fürchten, mit ihren Fähigkeiten vom Rand des digitalen Tellers
gestoßen zu werden. Wer kein IT-Experte, Programmierer oder Web-Designer ist,
so die Befürchtung, wird der Digitalisierung zum Opfer fallen, Job und soziale
Stellung verlieren, durch die Maschen rutschen.
Doch für Helbig ist
diese Angst unbegründet. Er stellt sich die Menschen als intelligentes Gebilde
vor, das auf einer Art Schwarmbasis an der künftigen Entwicklung mitwirkt. Wie
groß die Potenziale sind, zeigt Helbig bei Google, Facebook & Co. auf. Das
Sammeln von Daten, das Auswerten, Weiterverwenden und Optimieren führt bei den
bekannten Internetriesen zu exorbitanten Gewinnen und fast stetigem Wachstum.
Doch diese Unternehmen arbeiten nicht im Sinne der Menschen, sondern sind nur
darauf bedacht, ihre Gewinne zu maximieren; auf Kosten der Menschen, die
ausgespäht und ausgesaugt werden.
Helbig will die Daten
gewissermaßen zurück dorthin holen, wo sie hingehören: zu den Menschen, denen
sie gehören. Sie sollen künftig als Kollektiv bestimmen, was mit welchen Daten
passiert, sie sollen entscheiden, was sie preisgeben wollen. Und – das ist
entscheidend – sie sollen mitwirken, sollen die Digitalisierung vorantreiben,
Einfluss nehmen, mittels eines Miteinander aktiv an der weiteren Entwicklung
beteiligt sein. Dadurch entstehen neuen Chance, neue Jobs, neue
Tätigkeitsbereiche. Gleichzeitig soll das Gefühl des Ausgeliefertseins
reduziert und eine positivere Grundhaltung erzeugt werden.
Wissen ist Macht –
auch heute noch
Die Macht der
Internetgiganten geht auf ihr Wissen zurück. Sie haben mehr Informationen als
wir, sie sammeln, verwalten, werten aus, verkaufen, entwickeln und beginnen
wieder von vorn, mit dem Sammeln. Für Helbig gehören diese Eigenschaften in die
Hände des Menschen, nicht in die von Global-Playern. Er hofft auf kollektive
Intelligenz, die in der Lage sein wird, Ideen und Innovationen zu entwickeln,
die qualitativ den ausgewählten Entscheidungsträgern der Großkonzerne überlegen
ist. Und sie würde nahezu jeden einbeziehen können in die schöne, neue Welt.
Informationen und
Wissen, Daten und Verhaltensmuster, das sind die gewinnbringenden Faktoren von
heute. Der „kleine Mann“ steht hier außerhalb des Spielfeldes und muss mit
ansehen, wie eine rasend schnelle Entwicklung an ihm vorbeizieht. Wenn es nach
Helbig geht, soll das so schnell wie möglich Geschichte sein. Die
Digitalisierung birgt ungeheure Wachstumschancen. Chancen für völlig neue
Märkte und Zielgruppen. Es wäre laut Helbig falsch und verschwenderisch, all
diese Chancen in die Hände von profitorientierten Konzernen zu übertragen. In
den Händen eines intelligenten Kollektivs wären sie viel besser aufgehoben, da
ist sich Helbig sicher.
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