Mittwoch, 12. Oktober 2016

Von nichtssagenden Kommunikationstrainern auf Beutefeldzug







Wenn jemand von Kommunikation etwas versteht, dann sind das die Kommunikationstrainer. Sie sind – so sollte man meinen – wahre Künstler in Gesprächstechniken und verstehen es, Klarheit in das milchige Feld des Miteinanderredens zu bringen. Nicht alle von ihnen können aber lesen. Dieser Eindruck muss zumindest entstehen, wenn man die Akquisetätigkeiten verfolgt.

Schreibt man einen Artikel zum Thema Kommunikation, dann stößt der schnell auf Interesse. Allerdings auch bei den Falschen. Im verlinkten Artikel ging es um die interne Kommunikation bei IKEA. Es ging darum, wie diese international funktioniert und wie sie in Deutschland aufgebaut ist. Und es ging – das ist wichtig - in erster Linie darum, dass IKEA auf dem Gebiet Kommunikation einen erstklassigen Job macht. So gesehen sicher kein Grund für eine ganze Reihe Kommunikationstrainern, sich mit wohlmeinenden Geschäftsangeboten an IKEA Deutschland zu wenden.
Es stellt sich also die Frage: Warum konnte sich das Management von IKEA nach einem Artikel vor sinnlosen Anfragen kaum retten?

Am Anfang war das Wort …
gleich danach kam das Missverständnis. So sagt man oft. Das kann passieren, ist nicht weiter dramatisch. Wirklich unangenehm wird es aber, wenn Missverständnisse entstehen, deren Grundlage Ignoranz ist. Denn diese Missverständnisse sind unnötig, überflüssig, ärgerlich. Insbesondere wenn sie von Kommunikationstrainern kommen, denen man ja eigentlich zutrauen sollte, „geradeaus“ zu denken und zu lesen. Die jüngste Erfahrung zeigt, dass das vielfach nicht der Fall ist. 

Können wir uns irgendwie helfen?
Können wir Ihnen irgendwie helfen?“ Diese Frage ist durchaus berechtigt, wenn man als Dienstleister einen Bedarf bei einem Unternehmen bzw. potenziellen Kunden erkennt. Der hier beschriebene Fall geifernder Kommunikationstrainer, die nach der (eklatant oberflächlichen) Lektüre eines Artikels über interne Kommunikation mit ihren wundersamen Versprechungen von spürbaren Verbesserungen um die Ecke kommen, lässt allerdings nur einen Schluss zu: Wer nicht lesen kann, ist klar im Nachteil und oft nur darauf aus, sich selbst zu helfen, indem er es laut in der Kasse klingeln lässt. 

Komplett am Bedarf vorbei
Aus dem oben verlinkten Artikel über die interne Kommunikation bei IKEA lässt sich ohne Superkräfte herauslesen, dass er in erster Linie ein Loblied auf das Möbelhaus ist. Umso unverständlicher sind die Reaktionen zahlreicher Kommunikationstrainer, die einen Bedarf erkannten, der faktisch nicht vorhanden ist. Nach der Veröffentlichung des Artikels waren haufenweise Kommunikationstrainer zur Stelle, um IKEA „beizubringen“, wie man „richtig“ kommuniziert. Alle meinten es gut, alle hatten nur das Wohl des schwedischen Möbelhauses im Sinn.
Oder vielleicht doch nicht?

Überschriftenleser haben ein Problem: das, was unter der Headline steht
Sind Sie in den sozialen Medien zu Hause? Wenn ja, kennen Sie sicherlich eine ganz spezielle Gruppe von Usern: Headline-Leser. Die zeichnen sich durch eine ganz besondere Eigenschaft aus. Sie überfliegen eine Überschrift und machen sich nicht die Mühe, den Artikel, der dazu gehört, zu lesen. Stattdessen machen sie sich aufgrund dieser einzigen Überschrift ein Bild. Allein das ist schon tragisch, denn es liegt in der Natur der Sache, dass ein differenziertes Bild nur erstellt werden kann, wenn man differenziert nach Hintergründen sucht. Headline-Leser haben für derlei „Kleinigkeiten“ keine Zeit. Sie müssen posten, kommentieren, teilen und werten.
Sei‘s drum, Headline-Leser sind wirklich ein Ärgernis, weil sie regelmäßig Sachverhalte falsch wiedergeben, was kaum verwundern kann, da sie diese ja gar nicht kennen. Trotzdem sind sie alles in allem eher bedeutungslos, denn man erkennt sie schnell und merkt, dass sie außer Worthülsen nicht viel zu bieten haben. 

Wenn Kommunikationstrainer allerdings Überschriftenleser sind, die spätestens am Ende des Teasers mit dem Lesen aufhören, wird es knifflig. Und ärgerlich. Der Artikel, um den es geht, trug ursprünglich die Headline „Interne Kommunikation bei IKEA: Läuft überall, nur in Deutschland nicht“. Betrachtet man diese isoliert, kann man tatsächlich zum Schluss kommen, IKEA Deutschland hätte ein massives Problem mit der Kommunikation. Da wir schnell bemerkten, dass zahlreiche Nicht-Leser ihre sehr eigenwilligen Herleitungen über den Inhalt des Textes „kreierten“, ändert wir die Überschrit um. Nun heißt es: „Interne Kommunikation bei IKEA: Perfektion mit kleinen Schwächen“. Auch den Teaser haben wir ein wenig angepasst, um selbst den härtesten Leserverweigerern die Möglichkeit einzuräumen, sich wenigstens ein grobes Bild zu verschaffen. Doch es half alles nichts, IKEA wurde weiterhin von vermeintlich professionellen Angeboten überhäuft, die vor allem eines gemeinsam hatten: überflüssig zu sein. 

Ein Rentier, das nicht rennt, rentiert sich nicht - ein Kommunikationstrainer, der nicht liest, benimmt sich nicht
Hier und jetzt geht es nicht um Verständnis. Es geht nicht um Empathie und nicht um Geduld, schon gar nicht um Pädagogik. Hier und jetzt geht es um unprofessionelles Verhalten von Dienstleistern, die es eigentlich besser wissen sollten. Wenn einem Kommunikationstrainer nicht klar ist, dass er einen Artikel, auf dessen Grundlage er Unternehmen mit sinnfreien Angeboten bombardiert, zunächst einmal genau lesen (und verstehen!) muss, dann hat er seinen Job verfehlt. Dummerweise schadet das einer ganzen Branche, in der viele Dienstleister unterwegs, die einen wirklich guten Job machen. Die werden es womöglich in der einen oder anderen kommenden Situation zu spüren bekommen, dass Headline-Leser ihnen das Geschäft erschweren.
Zurück zum Artikel. Dieser hebt das besondere Sicherheitsbedürfnis der Deutschen hervor, das es IKEA schwermacht, in Deutschland so zu agieren wie in anderen Ländern. Das hat – man muss es wohl leider hier noch mal explizit erwähnen – nichts mit Kommunikationsfehlern bei IKEA zu tun. Es hat damit zu tun, dass die Deutschen gegenüber allen Aktivitäten, die ihre Daten „abgreifen“ könnten, ein Problem haben. Das alleine könnte man sogar nachvollziehen, wäre da nicht das allgemeine Verhalten der Deutschen im Netz. Da werden auf Facebook selbst intimste Details preisgegeben, im Online-Banking Geburtstage als Passwörter gewählt (sicher geht anders!), da wird fleißig bei Amazon bestellt und bei Google-Suchen nicht einmal die kleine Funktion des Ausloggens gewählt. 

Kurzum, die Deutschen liefern wahrscheinlich mehr Daten an Internetanbieter als Bevölkerungen anderer Länder (wobei das nicht gesichert, sondern eine Vermutung ist). Der sehnliche Wunsch nach Sicherheit in der internen Unternehmenskommunikation von IKEA ist daher eigentlich kaum ernstzunehmen. Wer mit seinen persönlichen Daten global um sich wirft wie mit Bonbons beim Fasching, der ist nicht glaubwürdig, wenn er den privaten Sicherheitsbeauftragten zur Schau trägt.
Abschließend lässt sich festhalten, dass IKEA ganz sicher keine Wald-und-Wiesen-Kommunikationstrainer braucht, denn das Kommunikationssystem ist eine Innovation, die auch ohne fremde Hilfe durch Headline-Leser optimiert werden kann und optimiert wird. 

Sinnvoller wären vielleicht Angebote von Psychologen, Gesprächstherapeuten und Psychoanalytikern für Großteile der deutschen Bevölkerung. Vielleicht könnten die ja herausfinden, wie man mit einem Volk voller „Daten-Paranoiker“ zu einer der größten Volkswirtschaften der Welt werden konnte.
Und noch eine Bitte an die Kommunikationstrainer: Bitte halten Sie sich in diesem Zusammenhang mit Angeboten zurück. Sie könnten verheerende Auswirkungen auf die Psyche der Angesprochenen haben.


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