Das
Handwerk rast auf den finanziellen Abgrund zu. Bewaffnet mit Hammer, Pinsel,
Maßband und Bohrmaschine überrennt es die Kunden. Die ihrerseits setzen auf
billige Lösungen. Und wenn es noch ein bisschen billiger ist, umso besser.
Was
ist da los?
Unser Malermeister ist schon lange im
Geschäft. Er dient als Beispiel und wir nennen ihn „Meister Weiß“. Als er den
Anruf aus dem Vorzimmer eines Professors für Wirtschaftslehre bekommt, freut er
sich zunächst. Ein Ökonom wird sicher einen fairen Preis zahlen. Denkt sich
Meister Weiß. Doch es kommt anders. Als er vor Ort mit der Assistentin des
Professors spricht, wird schnell klar, wohin die Reise gehen wird. In die
Abgründe der Dumpingpreise.
„Sie müssen das verstehen“, eröffnet
die Assistentin, „der Professor hat schon zwei Angebote vorliegen und möchte
dem günstigsten den Auftrag erteilen. Meinen Sie, dass Sie da mithalten
können?“
Meister Weiß reibt sich mit
Zeigefinger und Daumen über das Kinn. Dann sagt er: „Ich würde sagen, es kommt
drauf an. Wo liegen denn die anderen Angebote preislich?“
„Da muss ich eben nachsehen“, sagte
die Assistentin. Und verschwindet.
Derweil macht sich Meister Weiß ein
erstes Bild. Er stellt fest, dass es eine Menge Räume sind, die er neu
streichen soll. Zudem stehen viele Möbel im Büro herum, und auch Teppichboden
ist zuhauf vorhanden. Der muss abgedeckt werden, ebenso wie die Möbel, die zum
Teil auch bewegt werden müssen. Er rechnet die Sache grob durch und kommt auf
einen Gesamtpreis von rund 5.000,- Euro.
Kurze Zeit kommt die Assistentin
zurück und eröffnet ihm: „Also, das günstigste Angebot liegt bei 1.200,- Euro.
Können sie drunter gehen?“
Meister Weiß schluckt, stockt,
schluckt erneut und antwortet: „Ganz sicher nicht. Wenn ich zu diesem Preis
arbeite, muss ich kommenden Donnerstag zum Amt. Um meine Gewerbe abzumelden.
Denn mit solchen Konditionen werde ich pleitegehen. Ist Ihr Professor nicht
Fachmann für Ökonomie?“
„Ja, das ist er. Aber er muss eben
auch haushalten.“
„Das verstehe ich. Aber er kennt sich
doch sicher mit der Entwicklung von Preisen aus, mit realistischer Kalkulation
und der Wirkung von Inflation, oder?“
„Selbstverständlich!“
„Dann verstehe ich seine Haltung
nicht.“
Eine weitere Antwort warte Meister
Weiß nicht ab. Er packt seine Sachen zusammen und merkt abschließend an:
„Dieses Treffen hat mich knapp zwei Stunden meiner Zeit gekostet. Vielleicht
rechnet der Professor ja mal aus, wie viel Geld ich dadurch verloren habe.
Einen schönen Tag!“
Was
lernen wir daraus?
Zugegeben, in Sachen Diplomatie wird
unser Malermeister wohl keine Karriere mehr machen. Dennoch ist sein Ärger
verständlich. Und er ist die Folge einer mehr als fragwürdigen
Wirtschaftsentwicklung. Man könnte von zwei großen Bereichen sprechen: dem
Markt und dem Nichtmarkt.
Auf dem Markt herrscht Konkurrenz.
Dort bestimmt der Preis, wer überlebt und wer nicht. Beim Handwerk ist das sehr
offensichtlich. Aber auch in anderen Branchen, sei es die von Frisören,
Webdesignern oder Bäckern, herrscht knallharter Konkurrenzkampf. Und der geht
dann eben so weit, dass sich die Firmen gegenseitig so lange unterbieten, bis
niemand mehr etwas davon hat. Gerade im Handwerk kommt sicherlich der Bereich
der Schwarzarbeit hinzu. Besonders schwierig ist die Situation, wenn der
Handwerksmeister in Vorleistung treten muss. Im Falle von Meister Weiß ist das
die Beschaffung von Farben, Pinseln, Planen und so weiter. Man fragt sich also
zu Recht, wie genau die Rechnung des oben genannten Professors ausgesehen hat.
Ökonomisch vernünftig jedoch kann sie kaum gewesen sein.
Und dann gibt es noch den Nichtmarkt.
Das ist zum Beispiel die Autoindustrie oder die Pharmalobby. Hier als Neuling
einen Fuß in die Tür zu bekommen, ist faktisch nahezu ausgeschlossen, sei es
wegen fehlender Liquidität oder aggressiver Patentvergabe. Doch im Falle
unseres Malermeisters ist nicht der Nichtmarkt das Problem, sondern der Markt.
Wie aber kann Meister Weiß dieser Herausforderung begegnen?
Mehr
Digitalisierung, bitte!
Wir wissen natürlich nicht, wie genau
Meister Weiß den Preis für „seinen“ Professor kalkuliert hat. Vermuten wir aber
einmal, dass seine Rechnung seriös und realistisch war. Vermuten wir allerdings
darüber hinaus, dass Meister Weiß seinen Betrieb nicht mal ansatzweise
digitalisiert hat, müssen wir ihm dann doch einen Vorwurf machen. Denn der
Preis eines Handwerkers beginnt bereits, bevor er auch nur einen Satz mit einem
potentiellen Auftraggeber gewechselt hat.
Auftragsbücher, Termingestaltung, Statusmeldungen,
Rechnungsstellungen, zeitliche Abläufe, Besonderheiten beim Kunden oder seiner
Wohnung, seinem Haus, seiner Praxis oder seinem Büro. All das sind Dinge, die
Meister Weiß haarklein in diverse Bücher schreibt. Er notiert sich jede
Kleinigkeit, und das ist im Grunde auch der richtige Ansatz. Doch wir leben
nicht mehr in einer analogen Welt, sondern sind digitalisiert bis „an die
Zähne“. Für den Arbeitsalltag bedeutet das unzählige Erleichterungen,
Zeitersparnis und effizienteres Arbeiten. Das wirkt sich letztlich auch auf den
Preis aus, der etwas sinken kann, ohne allerdings eine gewisse Schmerzgrenze
unterschreiten zu dürfen. Meister Weiß hat sich bei der Preisverhandlung also
richtig verhalten. Allerdings … na ja, das Thema Diplomatie hatten wir ja
schon.
„Facebook?
Dat is‘ doch nix für mich!“
Ok, ok, das mag jetzt ein bisschen
klischeehaft klingen: Der Handwerker, der weltfremd einen alles vernichtenden
Satz „raushaut“ und damit das Thema soziale Medien ein für alle Mal beiseite
wischt. Und ja, zugegeben, das klingt wirklich sehr verallgemeinernd. Doch bei
aller gebotenen Defensive, wenn es um solche Klischees geht, soll das doch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass da auch ein Fünkchen Wahrheit drinsteckt.
Denn Handwerksbetriebe vertreten leider
immer noch recht häufig die Meinung, dass soziale Medien eher etwas für andere
Branchen sind. Versicherungen vielleicht. Musik, Immobilien oder Politik. Aber
der Handwerker? Was soll der denn auf Facebook & Co.?
Ja, was soll er da? Werbung machen, Reichweiten
erzielen, Neukunden gewinnen, Empfehlungen erarbeiten. Wer auch immer
irgendwann einmal die These in den Raum geworfen hat, soziale Medien seien
nichts für Handwerker, ist jemand, der verdammt wenig von der Sache versteht.
Denn gerade und ganz besonders
Handwerker können von sozialen Netzwerken profitieren. Das haben
erfreulicherweise schon eine ganze Menge Betriebe mitbekommen. Aber noch längst nicht genug, viele dümpeln
in ihren analogen Betrieben vor sich hin und sind eben genau dieser Meinung:
„Dat is‘ doch nix für mich!“
Ist es aber doch, und wenn man sich
Mühe gibt, besonders witzig oder originell zu sein, wenn man die Nutzer mit
einbezieht und in Gespräche verwickelt, wenn man auf Fragen und Kommentare
antwortet und die User ernstnimmt, dann klappt es auch mit den sozialen Medien.
Und noch ein Hinweis zum Schluss zu
diesem Thema: Die Angst vor einem „Shitstorm“ mag den einen oder anderen
Handwerker vielleicht beschäftigen. Aber die Wahrscheinlichkeit, einem solchen
zu erliegen, ist sehr gering.
Wer
Geizhälse akquiriert, bekommt auch Geizhälse
Der Nichtmarkt ist der Welt entrückt,
er gestaltet seine Geschäftspolitik, wie er es gern hat. Da ernsthafte
Konkurrenz kaum zu befürchten ist, läuft die Sache rund. Wir haben das ja bei
den Absprachen der großen deutschen Autobauer gesehen. Skandalös an dieser
Geschichte ist – nüchtern, zynisch betrachtet – eher, dass es rauskam. Preis-
oder andere Absprachen gibt es auf dem Nichtmarkt nun einmal. Das ist
schrecklich ungerecht, und es ist nicht zu verzeihen und muss hart bestraft
werden. Aber da die Machtpositionen von Global Playern in der Regel stärker
sind als die Einflussmöglichkeiten der Politik, läuft es meist auf das hinaus,
was wir in den letzten Monaten erlebt haben: Das moralische Erheben des
politischen Zeigefingers, ein paar Appelle, der Wunsch freiwilliger
Selbstverpflichtungen und fertig. Das war‘s.
Der Markt dagegen, also auch der
Handwerkermarkt, ist beweglich. Dort bestimmen tatsächlich noch Leistung,
Zuverlässigkeit, ja, sogar Sympathie Angebot und Nachfrage. Doch an dieser
Stelle muss sich unser Meister Weiß erneut eine kritische Frage gefallen lassen:
Wieso ist er überhaupt zu dem Professor gefahren?
Wir müssen davon ausgehen, dass weder
auf der Website des Malermeisters noch beim ersten Kontakt so etwas wie Preise
besprochen wurden. Guten Glaubens daran, dass ein Professor für Wirtschaft
schon gut zahlen wird, hat sich Meister Weiß auf den Weg gemacht. Um dann eine
mächtige Enttäuschung zu erleben. Das ist – um es einmal vorsichtig
auszudrücken – strategisch nicht unbedingt klug. Hätte der Professor von Anfang
an gewusst, wie sich der Preis von Meister Weiß gestaltet, wäre das Treffen
entweder gar nicht erst zustande gekommen oder die Preisverhandlungen wären
anders gelaufen.
Nun könnte man einwenden: Wenn Meister
Weiß nicht zum Professor gefahren wäre, hätten er den Auftrag definitiv nicht
bekommen. Aber dieses Argument ist selbstverständlich extrem schwach auf der
Brust. Denn ist der Auftrag so, wie es lief, zustande gekommen? Nein, ist er nicht,
wie wir ja wissen. Aber Meister Weiß hat eine Menge Zeit investiert, und das
für einen Auftrag, den er nicht bekommen konnte. Und auch gar nicht bekommen
wollte. Gewonnen hat er also nichts, aber einiges verloren.
Offensiv
und modern arbeiten
Das Überleben auf dem Markt ist
schwer, für Handwerker sowieso. Doch gerade deshalb muss man sich gut
aufstellen, muss sich organisieren, auf digitale Arbeitsweisen setzen und die
Effizienz immer wieder steigern. Dann kann man auch günstigere Angebote machen,
weil durch Digitalisierung und Automatisierung bestimmter Abläufe viel Zeit und
somit Geld gespart werden kann. Vielleicht hätte Meister Weiß auch ein Angebot
über 4.000,- Euro machen können, wenn er die gesamte Arbeit um den Kundenbesuch
sinnvoller gestaltet hätte.
Fakt ist aber auch, dass der
Dumpingpreis von 1.200,- Euro inakzeptabel ist. Die Einschätzung des Meisters
war da schon richtig. Wenn er zu einem Preis arbeitet, der am Ende des Tages
auf rote Zahlen hinausläuft, kann er in der Tat sein Gewerbe auch gleich
abmelden. Die Art und Weise, wie er das zum Ausdruck gebracht hat, ist jedoch …
ok, Diplomatie, hatten wir ja schon.
Einen Mangel hat Meister Weiß aber
ganz offensichtlich nicht: Angst vor dem Preis. Damit ist er in einer
komfortablen Situation, denn vielen seiner Kollegen geht es da anders. Wenn es
ums Geld geht, werden sie zurückhaltend, defensiv, beinahe schon devot. Sie
drücken sich um konkrete Zahlen herum, reden von „Bewegungsspielraum“ oder die
Aussicht auf Folgeaufträge. Das mag alles schön und gut sein, und sich
beweglich zu zeigen und langfristige Zusammenarbeit anzustreben, ist auch ein
sinnvoller Ansatz. Aber eins nach dem anderen! Erst einmal müssen die Basics
besprochen werden, erst einmal muss klar sein, was der Handwerker kostet. Dann,
und wirklich erst dann, kann man über Vergünstigungen oder Rabatte sprechen.
Drei Tage später hat sich der
Wirtschaftsprofessor übrigens noch mal bei Meister Weiß gemeldet. Das Gespräch
dauerte fast 45 Minuten, und am Ende hatte der Professor Meister Weiß auf
4.500,- Euro heruntergehandelt. Damit konnten beide gut leben. Und Meister Weiß
hat sich sogar für die misslungene Unterhaltung mit der Assistentin
entschuldigt.
Diplomatie eben.
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