Donnerstag, 11. Januar 2018

Handwerk: Wer das niedrigste Angebot erstellt, bezahlt den höchsten Preis





Das Handwerk rast auf den finanziellen Abgrund zu. Bewaffnet mit Hammer, Pinsel, Maßband und Bohrmaschine überrennt es die Kunden. Die ihrerseits setzen auf billige Lösungen. Und wenn es noch ein bisschen billiger ist, umso besser.

Was ist da los?


Unser Malermeister ist schon lange im Geschäft. Er dient als Beispiel und wir nennen ihn „Meister Weiß“. Als er den Anruf aus dem Vorzimmer eines Professors für Wirtschaftslehre bekommt, freut er sich zunächst. Ein Ökonom wird sicher einen fairen Preis zahlen. Denkt sich Meister Weiß. Doch es kommt anders. Als er vor Ort mit der Assistentin des Professors spricht, wird schnell klar, wohin die Reise gehen wird. In die Abgründe der Dumpingpreise.


„Sie müssen das verstehen“, eröffnet die Assistentin, „der Professor hat schon zwei Angebote vorliegen und möchte dem günstigsten den Auftrag erteilen. Meinen Sie, dass Sie da mithalten können?“


Meister Weiß reibt sich mit Zeigefinger und Daumen über das Kinn. Dann sagt er: „Ich würde sagen, es kommt drauf an. Wo liegen denn die anderen Angebote preislich?“

„Da muss ich eben nachsehen“, sagte die Assistentin. Und verschwindet.

Derweil macht sich Meister Weiß ein erstes Bild. Er stellt fest, dass es eine Menge Räume sind, die er neu streichen soll. Zudem stehen viele Möbel im Büro herum, und auch Teppichboden ist zuhauf vorhanden. Der muss abgedeckt werden, ebenso wie die Möbel, die zum Teil auch bewegt werden müssen. Er rechnet die Sache grob durch und kommt auf einen Gesamtpreis von rund 5.000,- Euro.


Kurze Zeit kommt die Assistentin zurück und eröffnet ihm: „Also, das günstigste Angebot liegt bei 1.200,- Euro. Können sie drunter gehen?“

Meister Weiß schluckt, stockt, schluckt erneut und antwortet: „Ganz sicher nicht. Wenn ich zu diesem Preis arbeite, muss ich kommenden Donnerstag zum Amt. Um meine Gewerbe abzumelden. Denn mit solchen Konditionen werde ich pleitegehen. Ist Ihr Professor nicht Fachmann für Ökonomie?“

„Ja, das ist er. Aber er muss eben auch haushalten.“

„Das verstehe ich. Aber er kennt sich doch sicher mit der Entwicklung von Preisen aus, mit realistischer Kalkulation und der Wirkung von Inflation, oder?“

„Selbstverständlich!“

„Dann verstehe ich seine Haltung nicht.“


Eine weitere Antwort warte Meister Weiß nicht ab. Er packt seine Sachen zusammen und merkt abschließend an: „Dieses Treffen hat mich knapp zwei Stunden meiner Zeit gekostet. Vielleicht rechnet der Professor ja mal aus, wie viel Geld ich dadurch verloren habe. Einen schönen Tag!“


Was lernen wir daraus?

Zugegeben, in Sachen Diplomatie wird unser Malermeister wohl keine Karriere mehr machen. Dennoch ist sein Ärger verständlich. Und er ist die Folge einer mehr als fragwürdigen Wirtschaftsentwicklung. Man könnte von zwei großen Bereichen sprechen: dem Markt und dem Nichtmarkt.


Auf dem Markt herrscht Konkurrenz. Dort bestimmt der Preis, wer überlebt und wer nicht. Beim Handwerk ist das sehr offensichtlich. Aber auch in anderen Branchen, sei es die von Frisören, Webdesignern oder Bäckern, herrscht knallharter Konkurrenzkampf. Und der geht dann eben so weit, dass sich die Firmen gegenseitig so lange unterbieten, bis niemand mehr etwas davon hat. Gerade im Handwerk kommt sicherlich der Bereich der Schwarzarbeit hinzu. Besonders schwierig ist die Situation, wenn der Handwerksmeister in Vorleistung treten muss. Im Falle von Meister Weiß ist das die Beschaffung von Farben, Pinseln, Planen und so weiter. Man fragt sich also zu Recht, wie genau die Rechnung des oben genannten Professors ausgesehen hat. Ökonomisch vernünftig jedoch kann sie kaum gewesen sein.


Und dann gibt es noch den Nichtmarkt. Das ist zum Beispiel die Autoindustrie oder die Pharmalobby. Hier als Neuling einen Fuß in die Tür zu bekommen, ist faktisch nahezu ausgeschlossen, sei es wegen fehlender Liquidität oder aggressiver Patentvergabe. Doch im Falle unseres Malermeisters ist nicht der Nichtmarkt das Problem, sondern der Markt. Wie aber kann Meister Weiß dieser Herausforderung begegnen?


Mehr Digitalisierung, bitte!

Wir wissen natürlich nicht, wie genau Meister Weiß den Preis für „seinen“ Professor kalkuliert hat. Vermuten wir aber einmal, dass seine Rechnung seriös und realistisch war. Vermuten wir allerdings darüber hinaus, dass Meister Weiß seinen Betrieb nicht mal ansatzweise digitalisiert hat, müssen wir ihm dann doch einen Vorwurf machen. Denn der Preis eines Handwerkers beginnt bereits, bevor er auch nur einen Satz mit einem potentiellen Auftraggeber gewechselt hat.


Auftragsbücher, Termingestaltung, Statusmeldungen, Rechnungsstellungen, zeitliche Abläufe, Besonderheiten beim Kunden oder seiner Wohnung, seinem Haus, seiner Praxis oder seinem Büro. All das sind Dinge, die Meister Weiß haarklein in diverse Bücher schreibt. Er notiert sich jede Kleinigkeit, und das ist im Grunde auch der richtige Ansatz. Doch wir leben nicht mehr in einer analogen Welt, sondern sind digitalisiert bis „an die Zähne“. Für den Arbeitsalltag bedeutet das unzählige Erleichterungen, Zeitersparnis und effizienteres Arbeiten. Das wirkt sich letztlich auch auf den Preis aus, der etwas sinken kann, ohne allerdings eine gewisse Schmerzgrenze unterschreiten zu dürfen. Meister Weiß hat sich bei der Preisverhandlung also richtig verhalten. Allerdings … na ja, das Thema Diplomatie hatten wir ja schon.


„Facebook? Dat is‘ doch nix für mich!“

Ok, ok, das mag jetzt ein bisschen klischeehaft klingen: Der Handwerker, der weltfremd einen alles vernichtenden Satz „raushaut“ und damit das Thema soziale Medien ein für alle Mal beiseite wischt. Und ja, zugegeben, das klingt wirklich sehr verallgemeinernd. Doch bei aller gebotenen Defensive, wenn es um solche Klischees geht, soll das doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass da auch ein Fünkchen Wahrheit drinsteckt.


Denn Handwerksbetriebe vertreten leider immer noch recht häufig die Meinung, dass soziale Medien eher etwas für andere Branchen sind. Versicherungen vielleicht. Musik, Immobilien oder Politik. Aber der Handwerker? Was soll der denn auf Facebook & Co.?


Ja, was soll er da? Werbung machen, Reichweiten erzielen, Neukunden gewinnen, Empfehlungen erarbeiten. Wer auch immer irgendwann einmal die These in den Raum geworfen hat, soziale Medien seien nichts für Handwerker, ist jemand, der verdammt wenig von der Sache versteht.


Denn gerade und ganz besonders Handwerker können von sozialen Netzwerken profitieren. Das haben erfreulicherweise schon eine ganze Menge Betriebe mitbekommen. Aber noch längst nicht genug, viele dümpeln in ihren analogen Betrieben vor sich hin und sind eben genau dieser Meinung: „Dat is‘ doch nix für mich!“

Ist es aber doch, und wenn man sich Mühe gibt, besonders witzig oder originell zu sein, wenn man die Nutzer mit einbezieht und in Gespräche verwickelt, wenn man auf Fragen und Kommentare antwortet und die User ernstnimmt, dann klappt es auch mit den sozialen Medien.


Und noch ein Hinweis zum Schluss zu diesem Thema: Die Angst vor einem „Shitstorm“ mag den einen oder anderen Handwerker vielleicht beschäftigen. Aber die Wahrscheinlichkeit, einem solchen zu erliegen, ist sehr gering.


Wer Geizhälse akquiriert, bekommt auch Geizhälse

Der Nichtmarkt ist der Welt entrückt, er gestaltet seine Geschäftspolitik, wie er es gern hat. Da ernsthafte Konkurrenz kaum zu befürchten ist, läuft die Sache rund. Wir haben das ja bei den Absprachen der großen deutschen Autobauer gesehen. Skandalös an dieser Geschichte ist – nüchtern, zynisch betrachtet – eher, dass es rauskam. Preis- oder andere Absprachen gibt es auf dem Nichtmarkt nun einmal. Das ist schrecklich ungerecht, und es ist nicht zu verzeihen und muss hart bestraft werden. Aber da die Machtpositionen von Global Playern in der Regel stärker sind als die Einflussmöglichkeiten der Politik, läuft es meist auf das hinaus, was wir in den letzten Monaten erlebt haben: Das moralische Erheben des politischen Zeigefingers, ein paar Appelle, der Wunsch freiwilliger Selbstverpflichtungen und fertig. Das war‘s.


Der Markt dagegen, also auch der Handwerkermarkt, ist beweglich. Dort bestimmen tatsächlich noch Leistung, Zuverlässigkeit, ja, sogar Sympathie Angebot und Nachfrage. Doch an dieser Stelle muss sich unser Meister Weiß erneut eine kritische Frage gefallen lassen: Wieso ist er überhaupt zu dem Professor gefahren?


Wir müssen davon ausgehen, dass weder auf der Website des Malermeisters noch beim ersten Kontakt so etwas wie Preise besprochen wurden. Guten Glaubens daran, dass ein Professor für Wirtschaft schon gut zahlen wird, hat sich Meister Weiß auf den Weg gemacht. Um dann eine mächtige Enttäuschung zu erleben. Das ist – um es einmal vorsichtig auszudrücken – strategisch nicht unbedingt klug. Hätte der Professor von Anfang an gewusst, wie sich der Preis von Meister Weiß gestaltet, wäre das Treffen entweder gar nicht erst zustande gekommen oder die Preisverhandlungen wären anders gelaufen.


Nun könnte man einwenden: Wenn Meister Weiß nicht zum Professor gefahren wäre, hätten er den Auftrag definitiv nicht bekommen. Aber dieses Argument ist selbstverständlich extrem schwach auf der Brust. Denn ist der Auftrag so, wie es lief, zustande gekommen? Nein, ist er nicht, wie wir ja wissen. Aber Meister Weiß hat eine Menge Zeit investiert, und das für einen Auftrag, den er nicht bekommen konnte. Und auch gar nicht bekommen wollte. Gewonnen hat er also nichts, aber einiges verloren.


Offensiv und modern arbeiten

Das Überleben auf dem Markt ist schwer, für Handwerker sowieso. Doch gerade deshalb muss man sich gut aufstellen, muss sich organisieren, auf digitale Arbeitsweisen setzen und die Effizienz immer wieder steigern. Dann kann man auch günstigere Angebote machen, weil durch Digitalisierung und Automatisierung bestimmter Abläufe viel Zeit und somit Geld gespart werden kann. Vielleicht hätte Meister Weiß auch ein Angebot über 4.000,- Euro machen können, wenn er die gesamte Arbeit um den Kundenbesuch sinnvoller gestaltet hätte.


Fakt ist aber auch, dass der Dumpingpreis von 1.200,- Euro inakzeptabel ist. Die Einschätzung des Meisters war da schon richtig. Wenn er zu einem Preis arbeitet, der am Ende des Tages auf rote Zahlen hinausläuft, kann er in der Tat sein Gewerbe auch gleich abmelden. Die Art und Weise, wie er das zum Ausdruck gebracht hat, ist jedoch … ok, Diplomatie, hatten wir ja schon.


Einen Mangel hat Meister Weiß aber ganz offensichtlich nicht: Angst vor dem Preis. Damit ist er in einer komfortablen Situation, denn vielen seiner Kollegen geht es da anders. Wenn es ums Geld geht, werden sie zurückhaltend, defensiv, beinahe schon devot. Sie drücken sich um konkrete Zahlen herum, reden von „Bewegungsspielraum“ oder die Aussicht auf Folgeaufträge. Das mag alles schön und gut sein, und sich beweglich zu zeigen und langfristige Zusammenarbeit anzustreben, ist auch ein sinnvoller Ansatz. Aber eins nach dem anderen! Erst einmal müssen die Basics besprochen werden, erst einmal muss klar sein, was der Handwerker kostet. Dann, und wirklich erst dann, kann man über Vergünstigungen oder Rabatte sprechen.


Drei Tage später hat sich der Wirtschaftsprofessor übrigens noch mal bei Meister Weiß gemeldet. Das Gespräch dauerte fast 45 Minuten, und am Ende hatte der Professor Meister Weiß auf 4.500,- Euro heruntergehandelt. Damit konnten beide gut leben. Und Meister Weiß hat sich sogar für die misslungene Unterhaltung mit der Assistentin entschuldigt.

Diplomatie eben.



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