„Verstehe
ich Sie richtig? Sie sind derzeit nicht an meinem Produkt interessiert?“
Kennen
Sie das?
Und
wissen Sie, wie es weiter geht?
„Wenn
ich Ihnen zeigen könnte, dass Sie mit meinem Produkt nachweislich finanzielle
und praktische Vorteile haben, wäre es dann nicht interessant, dass wir uns das
mal gemeinsam ansehen?“
Der
Mann (oder die Frau) am anderen Ende des Telefons denkt: Nein, wäre es nicht.
Sagt dann aber: “Meinetwegen, kommen sie halt morgen mal kurz vorbei. Und
lassen Sie mich jetzt bitte weiter arbeiten, ok?“
Ok!
Und
das Grauen beginnt.
Einwandbehandlung
2016: Muffig, verstaubt, antiquiert
Wie
komme ich an der Vorzimmerdame vorbei? Und: Wird die heute überhaupt noch so
genannt? Egal, am Telefon muss ich irgendwie um sie herumkommen, muss mich zum
Chef durchkämpfen. Mit jeder Menge Charme. Oder gespielter Autorität. Was auch
immer gerade funktioniert. Dann – wenn es vollbracht ist – ist der Chef fällig.
Wäre doch gelacht, wenn man dem nicht eine Krankenversicherung verkaufen
könnte. Oder einen Drucker, Staubsauger, ein Asthmagerät, völlig wurscht. Ich
komme gleich auf den Punkt, das macht sich gut. Oder ich quatsch ihn so lange
zu, bis er sich nur noch wünscht, das Gespräch möge enden. Von mir aus gern,
wenn denn ein Termin dabei rausspringt.
Ich
habe sie mir alle angesehen, die Trainer, die auf ihrer Bühne stehen, lächeln
und mir garantieren, dass Kaltakquise am Telefon „richtig geil“ ist. Deren
Einwandbehandlung ist immer gleich. Sie sind so freundlich, dass ihnen der
Schleim aus Ohren und Nase läuft. Sie motivieren ihre Zöglinge mit der Aussicht
auf noch mehr Termine, noch mehr Umsätze, noch mehr Urlaub auf schönen,
sonnigen Inseln, über die sie mit Sportwagen kurven und den lieben Gott einen
guten Mann sein lassen. Das war vor 20 Jahren so. Und es ist auch heute noch
so. Und es ist grauenvoll!
Die
Rattenfänger von … überall
Zugegeben,
Neukunden muss man sich erarbeiten. Bestandskunden muss man pflegen. Aber die
beschriebene Form der Kaltakquise macht weder das eine noch das andere. Ist
auch gar nicht vorgesehen. Der sogenannte „Rattenjagd-Vertrieb“ ist auf das
pure Verkaufen ausgerichtet, ohne Pardon, ohne Gnade.
Die
private Krankenversicherung ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür. Die
„besseren“ Verkäufer qualifizieren ihre Kunden vorab am Telefon. Rückleiden?
Allergien? Psychotherapie? „Lassen Sie mal stecken, alles Gute noch für Sie!“
Das
ist durchaus schon fast eine Kunst. Man muss es erst mal bringen, einem Menschen,
mit dem man vorher nie gesprochen hat, so intime Details wie Gesundheitsangaben
aus dem Kreuz zu leiern (um bei der bildhaften Sprache zu bleiben). Eine dem
Menschen zugewandte Kunst ist das aber nicht, denn die Vorqualifizierung dient
nur einem Zweck: abzuklären, ob sich der Besuch beim potenziellen Kunden
überhaupt lohnt. Kostet ja alles Geld, auch wenn der Vertriebler keine Ahnung
hat, wie viel genau, das soll er gar nicht wissen. Aber was ihm selbst im
Portemonnaie fehlt, wenn er den Termin nicht macht, das wird ihm täglich aufs
Brot geschmiert. Dazu muss er nur seinen Kontoauszug ziehen.
Verkäufer
müssen verkaufen …
…
und sonst nichts! Das ist die Philosophie der Rattenjagd-Vertriebs. Und das
machen sie dann auch. Während der eben beschriebene Telefonmann noch versucht,
die Qualität des möglichen Kunden zu klären, setzt die nächste Stufe des
Rattenjägers auf Radikalität. Ob der Kunde überhaupt für eine private
Krankenversicherung in Frage kommt, ist völlig uninteressant (das gilt für alle
anderen Produkte gleichfalls). Der Verkäufer ist so in seinem Film der
Einwandbehandlung, der Terminierung, dass er sich keine Gedanken darüber macht,
ob das, was er zu bieten hat, überhaupt passt. Anders ausgedrückt: er handelt
verantwortungslos, und wenn es sein muss, werden notfalls hier und da auch mal
ein paar Daten oder Angaben geschönt. Damit alles passt. Und die Provision
verdient wird.
Klingt
übertrieben?
Keineswegs!
Es ist der Alltag der Rattenjäger.
Du
sollst verkaufen, Du sollst funktionieren, Du sollst nichts wissen
Ok,
Butter bei die Fische! Wie tickt der Rattenjäger? Das ist schnell erklärt. Der
Rattenjagd-Vertriebler soll:
- verkaufen, verkaufen, verkaufen!
- ständig seine Provision im Kopf und ein gedankliches Zeitfenster von maximal acht Stunden haben
- sich keine Gedanken über Dinge wie Kundenbindung oder -bedürfnisse machen
- keine strategische Mitverantwortung übernehmen
- keinen Schimmer haben, was das, was er tut, das Unternehmen, für das er es tut, kostet.
Das
ist – positiv formuliert – „Old School“. Realistisch gesprochen muss man
allerdings von plumper Manipulation sprechen. Im wesentlichen geht es um
rhetorische Fähigkeiten, um psychologische Tricks, um einstudierte Leitfäden
und Formulierungen, die den Kunden auf die „Ja-Straße“ bringen sollen. Das hat
mit Kundenorientierung so viel zu tun wie Müller Milch mit glücklichen Kühen.
Aber es wird nach wie vor gemacht.
Dabei
ist moderner Vertrieb viel anspruchsvoller. Und er steckt im Zeitalter des
Internet voller Chancen und Möglichkeiten. Darauf komme ich dann demnächst zu
sprechen ...
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